Montag, 12. Oktober 2015

Vorbild Islam-Banking: Adieu Zinsen?

Vorbild Islam-Banking: Adieu Zinsen?

Michael Brückner

Das traditionelle Bankgeschäft mit Muslimen gilt als schwierig: Sie dürfen weder Zinsen verlangen noch zahlen. Manche Gutmenschen-Banken haben sich diesem Prinzip angeschlossen und versprechen eine bessere Welt ohne Zinsen. Doch gibt es viele Möglichkeiten, das Zinsverbot kreativ zu umgehen. Die »Miete für’s Geld« wird meistens nur anderweitig kassiert.

Welches Verhältnis ein Mensch zu Zinsen und Zinseszinsen hat, hängt entscheidend davon ab, ob er Gläubiger oder Schuldner ist. Wobei sich diese Frage aktuell kaum stellt, nachdem die führenden Notenbanken die Sparer mit Zinsen nahe der Nulllinie ohnehin schleichend enteignen.

Anfang Oktober lag der Biallo-Tagesgeldindex, der die durchschnittliche Verzinsung von Tagesgeld bei ausgewählten Banken abbildet, bei 0,31 Prozent. Wer also 25 000 Euro auf die hohe Kante gelegt hat, bekommt pro Jahr 77,50 Euro Zinsen – vor Steuern und Inflation, wohlgemerkt. Und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis bei diesem Enteignungsprozess gleichsam der Turbo angeworfen wird und Negativzinsen auch für Privatanleger eingeführt werden.

Immer mehr Geldinstitute scheinen derweil aus der Nullzins-Strategie ein Geschäftsmodell zu machen. Die einen, um Geldgeschäfte nach islamischem Scharia-Recht anzubieten, die anderen, um sich als Gutmenschen-Banker zu positionieren. Beide Gruppen arbeiten nach dem Prinzip der Zinslosigkeit – mehr oder weniger.

In Deutschland erhielt unlängst die KT Bank AG, eine Tochter der türkischen Kuveyt Türk Katilim Bankasi A.S., als erstes islamisches Geldinstitut die Volllizenz durch die Finanzaufsicht Bafin. Ihre Produkte unterscheiden sich in einem wichtigen Punkt von denen nicht-islamischer Institute: Im Islam ist es verboten, Zinsen zu nehmen oder zu zahlen.

Wie soll ein Muslim dann aber zum Beispiel in Deutschland eine Immobilie finanzieren? Die KT Bank glaubt, eine für alle Beteiligten akzeptable Lösung zu haben. Hat ein Muslim eine Immobiliegefunden, kauft die Bank das Objekt und verkauft es anschließend an den Kunden zu einem höheren Preis. Er zahlt also keine Zinsen, dafür aber eine höhere Gesamttilgung.

Handelsgeschäfte mit Gewinnerzielungsabsicht sind nämlich islamkonform. Wenn man Zinsen als »Miete für’s Geld« definiert, dann handelt es sich auch bei diesem Zuschlag auf den Kaufpreis um nichts anderes als verdeckte Zinsen, oder genauer: um das sogenannte Aufzinsungsprinzip.

Derlei pragmatische Lösungen sind gefragt, denn der Bedarf an Sharia-konformen Dienstleistungen wächst stetig. Sowohl im Privatkundensektor als auch im milliardenschweren Geschäft mit islamischen Staaten. Rund 20 Prozent der mindestens vier Millionen Muslime, die derzeit in Deutschland leben (die genaue Zahl kennt niemand) wünschen sich angeblich eine islamische Bank. Aufgrund der derzeitigen Massenzuwanderung könnte sich diese Zahl bald deutlich erhöhen. Die »zinslose« KT Bank rechnet innerhalb von drei Jahren mit 20 000 Kunden.

Viel lukrativer erscheinen die Geschäfte mit Scheichs und Staatsfonds aus islamischen Ländern. Elf der weltweit 20 größten Staatsfonds stammen aus islamischen Nationen. Vor allem Institute in Luxemburg wollen daran verdienen. Nachdem das Großherzogtum seinen Status als Steueroase weitgehend verloren hat, will man offenkundig vom Anlagebedarf islamischer Staaten profitieren.

Unterdessen hat auch der britische Premierminister David Cameron angekündigt, London werde zur Drehscheibe für islamische Finanzgeschäfte. Eine britische Staatsanleihe unter Scharia-Recht gibt es bereits.

Kaum überraschend, dass auch Goldman Sachs bei diesen lukrativen Geschäften mit im Boot ist. Schon 2011 legte Goldman erstmals eine zinslose Anleihe nach Scharia-Recht auf, die allerdingsfloppte. Erst der zweite Versuch 2014 war offenbar erfolgreicher.

Wenn es ums Geschäft geht, legen auch islamische Banken die Scharia nicht allzu streng aus. Im Jahr 2014 ging mit derNational Commercial Bank (NCB) das größte Geldinstitut Saudi-Arabiens an die Börse. Muslimische Geistliche rieten ausdrücklich vom Kauf dieser Aktie ab, weil die Bank das Zinsverbot nicht konsequent einhalte.

Wie dem auch sei, am Ende war es mit einem Volumen von umgerechnet 4,8 Milliarden Euro der weltweit zweitgrößte IPO im Jahr 2014 nach Alibaba. Die für Kleinanleger reservierte Tranche der NCB-Aktie war 23-fach überzeichnet. Ganz ohne Zinsen geht eben die Chose wohl doch nicht.

Davon gehen wohl auch die Initiatoren des in Russland geplanten »orthodoxen Bankensystems« aus. Mit Unterstützung der russisch-orthodoxen Kirche soll demnächst ein neues Bankensystem nach islamischem Vorbild gegründet werden, allerdings mit einem bemerkenswert geringen Grundkapital von eben mal 5,5 Millionen Euro. Die Geschäfte der Bank werden der orthodoxenMoral unterworfen. Von einem Zinsverbot ist keine Rede, lediglich von einem Verzicht auf »Wucherzinsen«.

Eine »bessere Welt« strebt die neue Gemeinwohlbank in Wien an, die sich sozusagen als Raiffeisenbank 2.0 versteht. Sie will nach Angaben ihrer Chefs dort wieder anfangen, wo Raiffeisen und die Sparkassen begonnen haben. Wer Anteile an dieser Genossenschaft erwirbt, bekommt keine Dividende. Und die Kunden will man »einladen«, auf Sparzinsen zu verzichten.

Allzu schwer dürfte das den Kunden angesichts des derzeitigen Zinsniveaus wohl nicht fallen. Das deutsche Gutmenschen-Institut Ethik Bank (Claim: »Faires Geld«) beglückt seine Kunden aktuell mit 0,01 Prozent Zinsen, was sehr nahe an dem Zinsverzicht der neuen österreichischen Gemeinwohlbank ist.

In Schweden sind schon seit Jahren die JAK-Banken tätig (JAK steht für Land, Arbeit und Kapital). Wer einen Kredit aufnehmen will, zahlt keine Zinsen, muss aber in der Tilgungsphase zusätzlich sparen. Kunden, die zum Beispiel einen Kredit in Höhe von 100 000 Euro aufnehmen, müssen etwa 200 000 Euro zurückzahlen.

Das angesparte Kapital steht ihnen erst nach der Tilgungsphase zur Verfügung. Bis dahin können andere Bankmitglieder das Geld in Anspruch nehmen. Mit der Kombination von Sparen und Tilgung ist dieses System nicht allzu weit von dem Prinzip der Bausparkassen entfernt, auch wenn keine Zinsen gezahlt werden.

Ganz neu ist die Idee der Zinsfreiheit übrigens nicht: Viele der sogenannten Regionalwährungen beruhen auf diesem Prinzip. Das Geld soll nicht gehortet, sondern in Umlauf gebracht werden. Bei den meisten Alternativwährungen verliert Geld im Laufe der Zeit an Wert (»Schwundgeld«). Nichtsanderes wäre der Effekt bei der Einführung von Negativzinsen.

Wie aber soll ein durchschnittlich verdienender Mensch eine ausreichende private Altersvorsorge aufbauen ohne Zins- und Zinseszinseffekt? Wie soll die Sicherheit seiner Lebensversicherung und Betriebsrente gewährleistet sein? Wie soll eine Sparkultur entstehen, ohne den Lohn jährlicher Zinsen? Wie sollen Stiftungen funktionieren ohne ausreichende Kapitalerträge?

Wer glaubt, in einer zinsfreien Gesellschaft lebte es sich besser, der verlagert nur die Probleme. Im besten Fall regt er die Fantasie an, um Alternativlösungen zu suchen – wie das Beispiel der Baufinanzierung durch die KT Bank belegt.






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