Sonntag, 18. Oktober 2015

Massenmedien: Spieglein, Spieglein an der Wand, warum ist das Publikum weggerannt?

Massenmedien: Spieglein, Spieglein an der Wand, warum ist das Publikum weggerannt?

Markus Gärtner

Die etablierte Medienlandschaft ist in Auflösung begriffen. Dem Mainstream-Journalismus laufen in Scharen die Leser und Zuschauer davon. Die Werbung bricht weg. Das Vertrauen des Publikums in die Nachrichten, Reportagen und Kommentare ist schwer lädiert, wenn nicht dauerhaft gestört.

Doch was machen die Macher im Mainstream-Blätterwald? Sie organisieren Workshops, Konferenzen und »Terrassengespräche«, wie die Verlagsgruppe Handelsblatt und belügen sich zumindest teilweise auch selbst.

Auf der Medienwebseite Meedia sehen wir in dieser Woche einen Bericht über das letzte Terrassengespräch des Handelsblatts in dieser Saison am Mittwoch in Düsseldorf. Der Bericht beginnt mit der Erwähnung einer Leserin, die kürzlich an einer Umfrage der Zeit über die Leistungen und Fehler des Wochenblattes teilgenommen hat. Sie wird mit den Worten zitiert: »Das Blatt ist nicht das Problem. Ich habe mich verändert.«

Im Klartext: Wieder einmal wird das Publikum als Grund für den Niedergang geschildert, und nicht die Medien selbst.

Diese Darstellungsweise ändert sich erst im Verlauf des Meedia-Berichtes, in dem Giovanni di Lorenzo von der Zeit mit folgender Aussage aus dem Düsseldorfer Medientreff zu Wort kommt: »Wir tun immer so, als seien die Probleme strukturell. Viele sind aber hausgemacht.«

Klare Eingeständnisse wie dieses sind freilich im alten News-Universum, das derzeit im Rekordtempo auseinanderbricht, eher selten. Die Nabelschau endet meist schon beim Blick auf das Publikum.

Die Kernschmelze der Massenmedien mit oft zweistelligen prozentualen Rückgängen in der Leserschaft pro Jahr, wird undankbaren, mit Hass aufgeladenen oder von Moskau auf die Massenmedien losgelassenen Auftrags-Trollen zugeschrieben. Giovanni di Lorenzo hat recht, so wie ihn Meedia zitiert, dass es in der Bevölkerung ein allgemeines Misstrauen gegenüber Eliten gibt. Das betrifft so ziemlich alle Institutionen, also neben Politik und Banken auch Behörden, Verbände und – eben – die Medien.

Doch die Medien bekommen aus einem einleuchtenden Grund besonders viel Fett von ihrem Publikum ab: In einer Phase, in der die politische Kaste sich von der Flüchtlingspolitik über die Griechenlandhilfe bis hin zum Euro gegen das eigene Wahlvolk wendet, da könnten die Medien dieKartellparteien in Berlin an ihren Auftrag und ihre Basis erinnern.

Tun sie aber nicht. Stattdessen haben sie sich vom Wachhund des Publikums zum Schoßhund der Mächtigen gewandelt und begehen schweren Verrat an ihrem Informationsauftrag. Mit diesem Verrat beschäftigt sich mein neues Buch Lügenpresse. Hier ein weiterer Auszug, diesmal aus dem zweiten Kapitel, wo es unter anderem um die Auflösung der alten Medienordnung und das Entstehen eines neuen Nachrichten-Universums geht.

Textauszug:

Das Fundament der alten Medienordnung bröckelt

Die Mainstream-Medien laufen dem Abgrund entgegen. Und sie beschleunigen ihren eigenen Niedergang. Das Internet hat ein anarchisches Informations-Universum geschaffen. Kanzeljournalismus und Nachrichten-Priestertum haben dort keinen Platz mehr. Aber das haben nur wenige Journalisten ganz verstanden. Sonst würden sie ihre Leser und Zuschauer stärker einbinden und weniger an ihnen vorbeischreiben. Selbst ein Manager wie Handelsblatt-Chef Gabor Steingart gab jüngst in einem Interview zu: »Der Typus Redakteur, der sich als Erleuchteter sieht, der morgendlich seine Botschaften verkündet, ist dem Untergang geweiht.« Die Notwendigkeit in der flach gewordenen Nachrichtenwelt des Internets vom Thron zu steigen, sei für viele Kollegen ein »schmerzhafter Lernprozess«. Journalisten haben jedoch nicht nur Probleme, dem Zeitalter des Deutungs-Adels Ade zu sagen und sich stärker mit ihrem Publikum zu engagieren. Sie sind sogar erstaunlich oft bereit, ihre eigene Weltsicht mit Hilfe von Manipulation zu verbreiten. Laut demKommunikationsforscher Hans M. Kepplinger wissen wir auch: »Fast die Hälfte der Journalisten billigt das bewusste Hochspielen von Informationen, die ihre eigene Sichtweise stützen«.

Der Medienkritiker Albrecht Müller wirft den Medien hierzulande sogar »hoffnungsloses Versagen« vor. Die Medienschaffenden, so seine These, seien nicht in der Lage, »Debatten und Kampagnen zu wichtigen politischen Entscheidungen kritisch zu begleiten und uns vor gravierenden politischen Fehlentscheidungen zu bewahren«. Das belegte Müller im November 2014 anhand seiner bereits erwähnten zehn Beispiele. Bei der Riester-Rente hätten sich die Leitmedien »in Tausenden von Artikeln und in Hunderten von Sondersendungen« an der Agitation der Finanzwirtschaft zugunsten der privaten Altersvorsorge beteiligt und »grandios« versagt.

Auch seien sie »mehrheitlich einer primitiven Sparideologie gefolgt« und bei der höchst umstrittenen Austeritätspolitik in Ehrfurcht vor Merkel und Schäuble erstarrt. Die Kanzlerin scheint ohnehin strikt zu entscheiden, was die ARD in den Nachrichten bringen kann. Die Welt berichtete im Mai 2015 mit der Schlagzeile »Warum die ARD Merkels Antwort nicht zeigen darf« über den Besuch der Kanzlerin in einer Berliner Schule.  Laut Henryk M. Broder erinnerte dieser »an die Besuche Honeckers bei den Jungen Pionieren«. Der Grund: Zu »kritischen Fragen« wie deutschen Waffenlieferungen an Israel gab es keinen O-Ton. Die eigentliche Information blieb ausgeblendet.

Wer so hinters Licht geführt und für dumm verkauft wird, vertraut den Establishment-Medien einfach nicht mehr. Das belegen inzwischen zahlreiche Umfragen und Studien, auch in den USA. Dort ergab eine landesweite Rasmussen-Umfrage im Mai 2015, dass 61 Prozent der US-Wähler, die wahrscheinlich am nächsten Urnengang teilnehmen, nicht den politischen Nachrichten trauen. Nur jeder fünfte der Befragten vertraut der politischen Berichterstattung.

Eine der bekanntesten Studien hierzulande ist die der Zapp-Redaktion des NDR vom Dezember 2014. Infratest dimap befragte in deren Auftrag 1002 Personen nach ihrem Vertrauen in die Medien. Heraus kam, dass ein beachtlicher Teil der Mediennutzer den Berichten über den Ukraine-Konflikt wenig bis gar nicht vertraut. Das waren 63 Prozent der Befragten: Es war eine glatte Bankrotterklärung. Von denen, die sich so kritisch äußerten, empfand fast jeder Dritte die Berichterstattung als einseitig. Der Prozentsatz derjenigen, die »großes oder sehr großes Vertrauen« zu den Medien haben, sank von 40 im Jahr 2012 auf 29 zwei Jahre später.

Zu den Journalisten, die mit dem deprimierenden Ergebnis der Umfrage konfrontiert wurden, gehörte derRessortleiter Zeitgeschehen beimDeutschlandfunk, Friedbert Meurer. Seine Einschätzung: »Spinner sind immer dabei, aber ja, ich finde das muss man ernst nehmen. Ich bin jetzt schon lange genug dabei, um beurteilen zu können, wenn da ein bestimmter quantitativer Rahmen erreicht ist. Da würde ich schon daraus schließen, dass in beträchtlichen Teilen der Bevölkerung eine andere Meinung gegenüber der Politik und gegenüber Russland vorherrscht als das insgesamt von den deutschen Medien transportiert wird«.

Sehr deprimierend war auch der Korruptionsbericht von Transparency International im Juli 2013. Er zeigte, dass ein Großteil des Publikums die Medien hierzulande nicht nur für einseitig, sondern auch für korrupt hält. Die Süddeutsche Zeitung meldete dazu: »In Deutschland hat eine Branche besonders viel Vertrauen eingebüßt: die Medien. Mehr als die Hälfte der Menschen im Land glaubt, dass Korruption Verlage und Rundfunkanstalten beeinflusst.« Tatsächlich, im »Globalen Korruptionsbarometer 2013« von Transparency schnitten die Medien so schlecht ab, dass sie erstmals hinter der öffentlichen Verwaltung und dem Parlament rangierten.





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