Sibirisches Riesenvirus: 30 000 Jahre alt und immer noch infektiös
Andreas von Rétyi
Vor Kurzem stießen Forscher auf ein ungewöhnlich großes Virus im sibirischen Permafrost, das dort seit Jahrtausenden im gefriergetrockneten Stadium verharrt hatte. Die Virologen bestätigen, dass die uralten Viren nach wie vor infektiös sind. Zwar bezeichnen sie sie als »ungefährlich« für den Menschen, doch ist von Sicherheitsvorkehrungen die Rede, auch bei der künftigen Suche im ewigen Eis. In der Tiefe könnten bedrohliche Überraschungen lauern.
Die Geschichte klingt wieder einmal nach blanker Science-Fiction: Wissenschaftler entdeckten im ewig gefrorenen Boden Sibiriens ein ungewöhnliches, weil auch ungewöhnlich großes Virus – uralt, eiskalt und doch brandgefährlich.
Nun, ganz so scheint der Fall momentan glücklicherweise nicht gelagert zu sein. Zumindest die Forscher geben jedenfalls weitgehend Entwarnung hinsichtlich bestehender Gefahren für den Menschen. Doch wer kann hier wirklich sicher sein – und was bringt die Zukunft? Zumindest wirkt es nicht gerade sehr beruhigend, wenn Wissenschaftler auf bislang unbekannte, immer noch infektiöse Riesenviren im Eis stoßen.
Nicht ganz von ungefähr kommt dabei auch die Bezeichnung für eine Familie, die Pandoraviren. Denn auch die Forscher selbst hatten bei ihrer Arbeit den Eindruck, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, um dabei vielleicht unliebsame Überraschungen zu erleben.
Wie gesagt, noch scheint alles unbedenklich für den Menschen. Allerdings erweisen sich die Viren bereits als tickende Zeitbombe, die sogar noch nach 30 000 Jahren hochgehen kann. Sie gelten als potenziell infektiös, sobald sie aus der sibirischen Kälte aufgetaut werden. Das bestätigt auch Chantal Abergel vom Nationalen Wissenschaftlichen Forschungszentrum an der französischen Aix-Marseille-Universität.
Abergel ist Virologin, genau wie ihr Mann Jean-Michel Claverie, sowie Koautorin einer neuen Studie, in der auch das bislang unbekannte Riesenvirus Mollivirus sibericumpräsentiert wird. Im Jungpaläolithikum, also dem späteren Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit, habe dieses Virus einzellige Amöben infiziert. M. Sibericum gehört einer »neuen« viralen Familie an. Es ist die vierte bislang entdeckte. Mittlerweile aber gehen die Forscher von einer enormen Vielfalt riesiger alter Viren aus.
Bis vor rund zehn Jahren herrschte allgemein noch der Irrglaube vor, Viren müssten stets winzig sein. Sie wurden mit Filtertechniken ausgesiebt, die größere Teilchen von vornherein zurückhielten. Eigentlich auch ein sehr passendes Bild dafür, wie wissenschaftliche Methodik zuweilen den Fortschritt aufhalten kann. Im Jahr 2003 aber berichteten Forscher im Fachblatt Science erstmalig von der Entdeckung des riesigen, Amöben infizierenden Mimivirus. Von da an begann die Jagd nach den Giganten unter den Viren.
Allgemein wird die Größe eines Virus in milliardstel Metern, sprich: Nanometern angegeben. Die typischen Maße liegen da bei etwa 20 Nanometern. Im Gegensatz dazu erreicht Megavirus chilensis rund 500 Nanometer. Nach dem Mimivirus folgten weitere Entdeckungen: nun wurden die Familien der Pandora- und Pithoviren bekannt, wobei Letztere in denselben Bodenproben aufgespürt wurden wieMollivirus sibericum, das mit 600 Nanometern noch größer ausfällt als seine bislang bekannten »Kollegen« und ein Genom von etwa 600 000 Basenpaaren umfasst.
Diese Bauanleitung für ein halbes Tausend Proteine gerät Wirtsorganismen bekanntlich zum Verhängnis, wenn Viren die Zelle dazu veranlassen, massenhaft virale Kopien zu produzieren – eine unheimliche Bedrohung für den Organismus, selbst wenn Forscher gerne darauf verweisen, dass Viren durchaus auch eine sehr positive Rolle in der Evolution spielten. So habe Einfluss auf die Evolution der Zellen die Entwicklung des Lebens enorm vorangetrieben.
Was nun die Riesenviren betrifft, wollen Abergel und ihre Kollegen jene wieder ans Tageslicht beförderten, neu auferstandenen Viren genauer untersuchen, um alle relevanten Einflüsse zu ergründen und herauszufinden, wie diese besondere Virengruppe entstanden ist. »Wir glauben, dass uns diese Riesenviren dabei helfen können zu verstehen, wie das Leben auf der Erdeentstanden ist.«
Bei ihren Studien stelle die angewandte Technik keinerlei Risiko für Menschen oder Tiere dar, so betont Abergel. Allerdings könne es in der Tiefe tatsächlich gefährliche Viren geben, die dort in Kältestarre verharren – Wesen in einer Welt zwischen Leben und Tod, die doch enorme Wirkungen zeitigen können, sobald sie aktiviert werden. M. sibericumwurde aus rund 30 Metern Tiefe nach oben geholt. Die Viren seien generell in so großer Tiefe verborgen, dass lediglich gezielte menschliche Grabungen oder Bohrungen sie wieder an die Erdoberfläche bringen könnten, beispielsweise auch bei der Suche nach Erdöl oder Erdgas.
Jetzt stehe fest, dass solche Viren tatsächlich mindestens über einige zigtausend Jahre hinweg infektiös bleiben können, so bestätigt Abergel. Doch Wissenschaftler müssten erst noch ein altes Virus finden, das auch Menschen zu infizieren in der Lage ist.
Nun, darauf dürfte die Öffentlichkeit kaum erpicht sein, eher schon Militär und geheimere Organisationen. Und schon im Januar 2013 haben wir an dieser Stelle hinsichtlich der Forschungen zum antarktischen Wostok-See gefragt: »Büchse der Pandora geöffnet?« Mittlerweile sind wir diesem Szenario doch wieder ein bedenkliches Stück nähergerückt.
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Bildnachweis: "Pithovirus sibericum sketch" by Pavel Hrdlička, Wikipedia. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Commons
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